Verein beschafft "privat"
VwG Wien 12.10.2017, VGW-123/072/11351/2017 = Huber in RPA 2018, 40
Zeitschrift für Vergaberecht/Verlag Österreich
„Schulverpflegung an ganztägig geführten öffentlichen Wiener Pflichtschulen 2017/2018“ (Feststellungsverfahren)
Wenn der öffentliche Auftraggeber bloß Kriterien zur Sicherstellung der Qualität einer Leistung festlegt, nicht aber Preis und Liefermenge, welche von einem Verein vorgegeben werden, so handelt es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag.
Die Auswahl eines Lieferanten nach Kriterien des öffentlichen Auftraggebers sind nicht als Auswahl eines Rahmenvereinbarungspartners anzusehen.
Ausfallszahlungen können nicht zu einer wirtschaftlichen Zuordnung der Leistung zum öffentlichen Auftraggeber führen, da sie wirtschaftlich und rechtlich als Sozialleistung zu werten sind, mit der der öffentliche Auftraggeber aus sozialen Erwägungen eine Schuld begleicht.
Sachverhalt
Verfahrensgegenständlich ist die Lieferung der Schulverpflegung an ganztägig geführten Wiener Pflichtschulen für das Schuljahr 2017/2018. Die Beauftragung eines Versorgungsunternehmens wurde ohne Durchführung eines öffentlichen Vergabeverfahrens nach den Bestimmungen des BVergG vergeben.
Die Stadt Wien ist gemäß § 41 Abs 1 Wiener Schulgesetz idF LGBl Nr 06/2015 (kurz: „WrSchG“) gesetzliche Schulerhalterin. Der Schulerhalter hat gemäß § 3 Abs 2 WrSchG für die Verpflegung an Pflichtschulen vorzusorgen. Im Rahmen ihrer Schulerhalterpflicht hat die Stadt Wien „für die damit verbundenen Kosten aufzukommen, soweit nicht andere Rechtsträger beitragspflichtig sind“ (§ 41 Abs 1 WrSchG). Die Stadt Wien ist zweifelsohne öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 3 Abs 1 Z 1 BVergG.
Bis zum Jahr 2005 hat die Stadt Wien die Ausschreibung der Verpflegungsleistungen an ganztägig geführten öffentlichen Pflichtschulen selbst übernommen und nach den vergaberechtlichen Bestimmungen durchgeführt. Im Jahr 2005 wurde zwischen der Stadt Wien und dem Landesverband Wien der Elternvereine eine Vereinbarung getroffen, wonach die Stadt Wien dem Landesverband diesen Beschaffungsvorgang überträgt. In der Folge wurden die Verträge zwischen dem Essenslieferanten und dem Landesverband geschlossen. Dennoch nahm die Stadt Wien maßgeblich Einfluss auf die Lieferantensuche, indem sie gemeinsam mit dem Landesverband einen Kriterienkatalog für die Unternehmenssuche entwickelte. Nur jene Unternehmen, die die vorgegebenen Kriterien erfüllten, wurden in den sogenannten „Lieferantenpool“ aufgenommen, aus welchem die einzelnen Elternvereine einen Essenslieferanten wählen dürfen. Die Prüfung, welcher Bewerber in den Lieferantenpool aufgenommen wird, obliegt der Stadt Wien gemeinsam mit dem Landesverband.
Die Stadt Wien trägt für diese Lieferleistungen Kosten in Höhe von rund
EUR 2,22 Mio (netto) pro Schuljahr. Dieser Umstand ist in erster Linie auf die gesetzliche Verpflichtung zum Kostenersatz der Stadt Wien gemäß
§ 41 Abs 1 letzter Satz WrSchG zurückzuführen. Ungeachtet der direkten Verpflichtung zum Kostenersatz erfolgt die allgemeine Rechnungslegung gegenüber den Erziehungsberechtigten durch die Stadt Wien. Ebenso obliegt der mitbeteiligten Partei das Inkasso der Essensbeiträge, die Weiterleitung an die Lieferanten und die Einbringung offener Forderungen. Die mitbeteiligte Partei verpflichtet sich zudem zu einer zivilrechtlichen vollumfänglichen Schad- und Klagloshaltung gegenüber dem Landesverband und der örtlichen Elternvereine.
Die Antragstellerin erblickte in der von der Stadt Wien gewählten Konstruktion eine Umgehung der Bestimmungen des BVergG und beantragte die Feststellung einer rechtswidrigen Vergabe ohne vorherige Bekanntmachung (unzulässige Direktvergabe). Der Antrag wurde vom VwG Wien abgewiesen. Begründend führte das VwG aus, dass es sich bei der gewählten Vorgehensweise der Stadt Wien um kein Umgehungsgeschäft handelt. Die Lieferleistung sei nicht gegen Entgelt an die Stadt Wien erbracht worden.
Aus der Begründung
Eine Anwendbarkeit der Vergabevorschriften läge dann vor, wenn es sich gegenständlich um einen öffentlichen Auftrag, somit um einen entgeltlichen Vertrag (hier: Liefervertrag) zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem sonstigen Wirtschaftsteilnehmer bzw um eine Rahmenvereinbarung, aus der der öffentliche Auftrag abgerufen werden kann, handelt. Die Stadt Wien ist zweifellos öffentliche Auftraggeberin im Sinne des BVergG 2006. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob im vorliegenden Fall die Stadt Wien Auftraggeberin ist. […]
Gemäß § 2 Z 8 BVergG 2006 ist Auftraggeber jeder Rechtsträger, der vertraglich an einen Auftragnehmer einen Auftrag zur Erbringung von Leistungen gegen Entgelt erteilt oder zu erteilen beabsichtigt. Damit richtet sich die Auftraggebereigenschaft danach, wer zivilrechtlicher Vertragspartner werden soll. […]
Die Auswahl der Lieferanten für den konkreten Schulstandort erfolgt durch die örtlichen Elternvereine. Die Stadt Wien wird nicht Vertragspartner der Lieferverträge zur Beschaffung von Schulverpflegung an ganztägigen Pflichtschulen. Die Verträge werden vielmehr zwischen dem Landesverband und dem jeweils vom örtlichen Elternverein aus dem Lieferantenpool gewählten Lieferanten abgeschlossen. Formal gesehen handelt es sich daher bei diesen Lieferverträgen nicht um einen öffentlichen Auftrag.
In seinem Erkenntnis vom 24.06.2015, Ra 2014/04/0043, betreffend das Vergabeverfahren „Abendprogramme Salzburger Festspiele 2014“, hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auf das Erkenntnis vom 08.11.2012, 2010/04/0128, sowie auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10.11.2005, Rs C-29/04, Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Republik Österreich „Abfallentsorgung Stadt Mödling“ Slg 2005, I-9705) verwiesen, wonach zur Beurteilung eines vergaberechtlich relevanten Vorganges nicht alleine auf formelle Gesichtspunkte abzustellen ist. In diesem Urteil hat der EuGH ausgesprochen, dass die Dienstleistungsfreiheit und die Öffnung für den unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten gefährdet waren, wenn die öffentlichen Auftraggeber eine Verfahrensgestaltung wählen konnten, die die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsauftrage verschleiern soll. Insbesondere ist das „Vorschieben“ eines privaten Dritten, um der Bindung an vergaberechtliche Bestimmungen zu entgehen, unzulässig. […]
Der Verwaltungsgerichtshof führt in der oa Entscheidung aus, dass für die Frage, ob das Vergaberecht auf einen Beschaffungsvorgang anzuwenden ist, keine formale, sondern eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzuwenden ist. Er nennt zwei Kriterien, aus denen erkennbar ist, wer aus wirtschaftlicher Sicht Auftraggeber ist bzw ob ein Umgehungsgeschäft durch Vorschieben eines privaten Auftraggebers vorliegt: Zunächst ist zu prüfen, ob die Beschaffung der Leistungen für den öffentlichen Auftraggeber nach dessen Vorgaben erfolgt. Weiters kommt es darauf an, ob der öffentliche Auftraggeber einen Auftrag zur Erbringung von Leistungen gegen Entgelt erteilt oder zu erteilen beabsichtigt. Es ist also entscheidend, dass der öffentliche Auftraggeber dem privaten Dritten die Abgeltung der formal von im beschafften Leistungen zugesichert hat.
Im vorliegenden Fall sind diese beiden Voraussetzungen nicht gegeben.
Der von der Antragsgegnerin und dem Landesverband unter Beiziehung von Fachleuten ausgearbeitete Kriterienkatalog enthalt detaillierte Vorgaben für die Lieferanten (zB hinsichtlich deren Gewerbeberechtigung, der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der technischen Leistungsfähigkeit sowie der Hygiene- und Qualitätssicherung), der anzubietenden Leistung (zB Menüzusammenstellung, Energiegehalt und Bio-Anteil der Speisen, Speisepläne). Er enthalt jedoch keine Vorgaben hinsichtlich Preis oder Liefermenge.
Der konkrete Leistungsinhalt ergibt sich aus den wöchentlichen Bestellungen der Eltern anhand der vom ausgewählten Lieferanten zur Verfügung gestellten Speisepläne. Diese Bestellungen erfolgen zur Vereinfachung der Administration über die Schul- bzw Freizeitleitung der jeweiligen Schule. Der Vertrag kommt zwischen dem Landesverband als Vertreter der Eltern und dem jeweiligen Lieferanten zu Stande. Die gelieferten Menüs werden in der Folge von den Schülerlnnen der jeweiligen Schule konsumiert. Es kann somit einerseits nicht von einer Beschaffung von Leistungen für den öffentlichen Auftraggeber nach dessen Vorgaben gesprochen werden.
Andererseits erfolgt die Bezahlung der Lieferanten nicht durch die Antragsgegnerin, sondern, wie in
§ 5 Wiener Schulgesetz vorgesehen, durch die Eltern der Schülerlnnen, die die Schulverpflegung konsumieren. Die einzelnen Schulen melden an die MA 56 bzw die zuständige Buchhaltungsabteilung die Kosten der bestellten bzw konsumierten Verpflegung. Dort wird die Rechnung an die Eltern gestellt. Die Bezahlung erfolgt durch die Eltern bargeldlos an die Stadt Wien. Die Stadt Wien sorgt dafür, dass das Entgelt an die jeweiligen Lieferanten weitergeleitet wird und kontrolliert, ob die Zahlungen ordnungsgemäß erfolgt sind. Sollte dies nicht der Fall sein, ergreift die MA 56 Eintreibungsmaßnahmen.
Die Leistungen werden somit nicht gegen Entgelt an die Antragsgegnerin erbracht, es erfolgt auch keine Abgeltung der von den Eltern geleisteten Bezahlung durch die Antragsgegnerin.
Eigene Zahlungen leistet die Antragsgegnerin nur dort, wo Eltern aus sozialen Gründen von der Bezahlung der Essensbeiträge befreit sind. Dabei handelt es sich um ca 10% der betroffenen Eltern. Diese Ausfallszahlungen können jedoch nicht zu einer wirtschaftlichen Zuordnung der gegenständlichen Leistung zur Antragsgegnerin führen, da sie wirtschaftlich und rechtlich als Sozialleistung an die Eltern zu werten sind, mit der die Antragsgegnerin aus sozialen Erwägungen eine Schuld der Eltern begleicht. Auch die Schad- und Klagloshaltung der Elternvereine und des Landesverbandes durch die MA 56 bedeutet nicht, dass die Stadt Wien aus wirtschaftlicher Sicht als Auftraggeberin anzusehen ist, zumal die Leistung des Entgelts für die Schülerinnenverpflegung trotzdem grundsätzlich durch die Eltern zu erfolgen hat.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Leistungen der Lieferanten nicht der Antragsgegnerin, sondern den Schülerlnnen und deren Eltern bzw jene Personen, die für den Unterhalt der Schülerlnnen aufzukommen haben, zukommt und von diesen auch bezahlt wird. Das Auftreten der Eltern als private Auftraggeber entspricht damit den wirtschaftlichen Gegebenheiten.
Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der von der Antragsgegnerin gewählten Vorgangsweise bezüglich der Vorsorge für die Schulverpflegung um ein Umgehungsgeschäft dahingehend handelt, dass ein privater Auftraggeber vorgeschoben wird, um die Anwendbarkeit des Vergaberechts zu verhindern. Diese Vorgangsweise unterliegt somit nicht den Vergabevorschriften, weshalb keine unzulässige Direktvergabe gegeben ist.
Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin lasst sich die Anwendbarkeit des Vergaberechts auch nicht aus § 3 Abs 2 des Wiener Schulgesetzes („Unter Erhaltung einer Schule … ist die Vorsorge für die Verpflegung zu verstehen“) in Verbindung mit § 41 Abs 1 des Wiener Schulgesetzes, wonach die Gemeinde Wien gesetzlicher Schulerhalter der Pflichtschulen in Wien ist, ableiten. Die Antragsgegnerin hat nach diesen gesetzlichen Bestimmungen Vorsorge für die Verpflegung der Schülerinnen an ganztägigen Pflichtschulen zu tragen. Aus dieser Formulierung geht hervor, dass sie Maßnahmen zu ergreifen hat, die diese Verpflegung, wo sie nachgefragt wird, sicherstellt. Es geht daraus aber nicht hervor, dass sie diese Verpflegung selbst zu beschaffen und zu bezahlen hat. […]
Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien schließlich den Bescheid des Vergabekontrollsenates Wien (VKS) vom 05.08.2005, Zahl VGW-2298/05, zitiert und ausgeführt, dass diese Entscheidung in einem zum gegenständlichen vergleichbaren Fall von der Anwendbarkeit des Vergaberechtes ausgegangen sei. Dem ist entgegen zu halten, dass der VKS in dieser Entscheidung ausdrücklich auf den Leasingvertrag zwischen der privaten Auftraggeberin Z.L. und der dortigen Antragsgegnerin hingewiesen und in der Folge ausgeführt hat, dass „die Finanzierung des Bauvorhabens zunächst durch die Z.L. erfolgte, der Bauaufwand samt Nebenkosten in der Folge durch die Antragsgegnerin jedoch durch die Leasingraten abgedeckt werden soll. Bei dieser Sachlage ist es nicht gerechtfertigt, die Z.L. als privaten Auftraggeber von der Ausschreibungspflicht auszunehmen […]“. Eine solche (direkte oder indirekte) Kostentragung durch die Stadt Wien liegt aber, wie oben dargestellt, gegenständlich nicht vor, da die Bezahlung der Schulverpflegung, bis auf einen Anteil von etwa 10%, die sich die Bezahlung nicht leisten können, durch die Eltern der Schülerlnnen erfolgt.
Hinweis für die Praxis
Die gegenständliche Entscheidung ist aus mehrerlei Hinsicht verwunderlich und bedarf mit Sicherheit einer Überprüfung durch den VwGH (im Wege der außerordentlichen Revision). Die Stadt Wien hat als Schulerhalterin diese Verpflegungsleistungen bis zum Jahr 2005 rechtskonform als öffentlichen Auftrag ausgeschrieben. Sodann wurde durch die Einschaltung des Landeselternverbandes (Verein) bzw den einzelnen Elternvereinen (Vereine) eine komplexe Konstruktion aus Beschaffungsvorgaben und Beschaffungsvorgängen entwickelt. Um den Vereinen keine wirtschaftlichen Risiken zu übertragen, hat sich die Stadt Wien ausdrücklich bereit erklärt, eine umfassende Schad- und Klagloshaltung zu gewährleisten. Weiters hat die Stadt Wien die Abrechnung, das Inkasso von säumigen Zahlern und letztlich auch die mit rund 10% bezifferte Ausfallshaftung gegenüber den Lieferanten übernommen. In Anlehnung an die Rechtsprechung drängt sich der Verdacht eines Umgehungsgeschäftes auf, selbst wenn die Ausfallshaftung als „Sozialleistung“ und nicht als Lieferentgelt dargestellt werden kann. Tatsächlich übersteigt die 10%ige Ausfallshaftung bereits bei weitem den Schwellenwert zur europaweiten Bekanntmachung.
Sollte die Stadt Wien mit diesem Beschaffungsmodell im Oberschwellenbereich recht behalten, dürften künftig einige gesetzliche Aufgaben an private Vereine übertragen werden. Ob letztlich auch die Sanierung einer Schule dem Elternverein übertragen wird, um sich der „lästigen“ öffentlichen Ausschreibung zu entledigen, bleibt abzuwarten und erscheint nicht abwegig. Vielmehr müssen sich die anderen Schulerhalter die Frage stellen, warum öffentlich ausschreiben, wenn der größte Schulerhalter Österreichs einen effektiveren Beschaffungsvorgang aufzeigt. Angesichts der Judikatur – sowohl der nationalen Höchstgerichte als auch jener des EuGH – ist diese Art des „privaten und effektiven“ Beschaffungsvorganges aber äußerst kritisch zu hinterfragen. Die Beschaffung erfolgt nämlich tatsächlich nach den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers, die Rechnungslegung erfolgt an den öffentlichen Auftraggeber und dieser übernimmt die Haftung, wenn der Leistungsempfänger finanziell ausfällt. Dies ist immer der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber eine Leistung zur Deckung des öffentlichen Interesses beschafft – und zwar mit Steuergeldern Dritter.